Kein Grund, so viel Angst zu haben
Veröffentlicht am 19.07.2016 • Von Giovanni Mària
Kein Grund, so viel Angst zu haben
Die Gefahr, bei einem Autounfall zu sterben ist deutlich größer als bei einem Anschlag. Dennoch fürchten 73 Prozent der Deutschen Terrorismus. Wie konnte es dazu kommen?
elbstmordanschläge in Clubs, Explosionen während Sportveranstaltungen, ein Attentat am Nationalfeiertag – ist das Leben in Europa nicht mehr sicher? Politisch oder religiös motivierter Fanatismus ist keine Seltenheit mehr, Gewalt und Terror werden zum Alltag – so scheint es zumindest.
Laut einer repräsentativen Umfrage der R und V Versicherung zu den "Ängsten der Deutschen" fürchten sich fast drei Viertel der Befragten – 73 Prozent – vor Terrorismus. Erstmals steht Terrorismus damit an der Spitze der wahrgenommenen Bedrohungen hierzulande. Noch 2013 lagen die Geldentwertung, Naturkatastrophen und Pflegeprobleme im Alter an der Spitze der Angstskala. Terrorismus war zwar auch unter den ersten 10 vertreten, aber nur von etwas mehr als 40 Prozent als größte Sorge eingestuft.
Wie konnte es dazu kommen? Es sind vor allem die Willkür und die Zufälligkeit der Anschläge, die Angst und Furcht verbreiten. Mit Charlie Hebdo war 2014 eine Satirezeitschrift, die den "Islamischen Staat" (IS) in Zeichnungen verhöhnte, das Ziel eines Anschlags. Am Stade de France sprengten sich während des Fußball-Länderspiels Frankreich gegen Deutschland im November 2015 drei Selbstmordattentäter im Namen des IS in die Luft. Weitere Angreifer feuern auf Bars und Restaurants, in der Konzerthalle Bataclan richten sie ein Massaker an. Und in Nizza rast im Juli 2016 ein Mann, der sich wohl jüngst dem IS verschrieb, mit einem Lastwagen in eine feiernde Menge. Mindestens 80 Menschen sterben. Je unberechenbarer und quasi aus heiterem Himmel Anschläge erfolgen, desto mehr macht sich die Vorstellung breit, man könnte selbst zum Opfer werden. Einen muss es ja treffen.
Mit Nizza haben die Menschen in Frankreich ihre Hoffnung begraben, endlich wieder einen normalen Alltag zu führen. Jeder ist zum potenziellen Opfer eines Anschlags geworden. Nirgendwo mehr scheint es wirklich sicher. Diese Sorge teilen viele Europäer. Die Statistik zeigt auch, dass zunehmend "einsame Wölfe" Anschläge vornehmen. Diese sind selten in Terrorgruppen aktiv, engagieren sich nur sporadisch im Internet und sind ansonsten allenfalls durch Kleinkriminalität aufgefallen. Hier ist Prävention besonders schwierig, wenn nicht sogar unmöglich; wie der Angriff eines 17-Jährigen auf Zugreisende in einem Regionalzug bei Würzburg.Das schürt zusätzliche Angst.
Tatsächlich ist das Risiko äußerst gering, in Europa wegen eines Amoklaufs oder Terroranschlags zu sterben. In den vergangenen 20 Jahren waren es im Schnitt 48 Menschen jährlich, die durch Terror starben. In Deutschland ist es sogar weniger als einer pro Jahr. Es ist also wahrscheinlicher, auf der Fahrt mit dem Auto nach Nizza in einen tödlichen Unfall zu geraten, als von einem Attentäter getötet zu werden.
Dennoch ist in manchen Lebensbereichen ein verändertes Verhalten festzustellen. In Regionen mit überwiegend muslimischer Bevölkerung geht die Zahl der Urlaubsreisen zurück. In der Türkei beispielsweise ließ der Tourismus in den Ferienregionen allein in diesem Jahr um 40 Prozent gegenüber dem Vorjahr nach. Inwiefern der versuchte Umsturz von Teilen des Militärs am vergangenen Wochenende die Situation verschärfen wird, ist noch unklar. Auch Tunesien, Marokko und andere nordafrikanische Staaten melden sinkende Touristenzahlen.
Quelle: zeit.de (Artikel ist noch länger)