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Hat das Germanwings-Unglück zu einer Stigmatisierung von Menschen mit Depressionen geführt?

Veröffentlicht am 25.03.2016 • Von Giovanni Mària

Hat das Germanwings-Unglück zu einer Stigmatisierung von Menschen mit Depressionen geführt?

Riskante Berichte

Nach dem Germanwings-Unglück vermuteten viele Medien die Ursache in einer psychischen Krankheit des Copiloten. Psychologen forschten nach: Wurden dadurch andere Patienten stigmatisiert?

Es ist ein Jahr her, dass eine Germanwings-Maschine auf ihrem Flug mit der Nummer 4U9525 in den französischen Alpen abstürzte. Alle 150 Menschen an Bord starben an jenem 24. März 2015. Die Ermittler kamen zu dem Schluss, dass der Copilot das Flugzeug absichtlich zum Absturz gebracht hatte. Es tauchten zudem Hinweise auf, nach denen der junge Mann unter Depressionen gelitten habe.

Umgehend warnten damals die psychologischen Fachgesellschaften vor Spekulationen: Werde eine psychische Krankheit als Unglücksursache öffentlich diskutiert, könne dies zur Stigmatisierung von psychisch Kranken führen.

Inzwischen haben Forscher die Medienberichte zu dem Unglück unter die Lupe genommen. "Es hat uns überrascht, wie häufig wir explizite Stigmatisierungen fanden", sagt Harald Dreßing vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim. Die Ergebnisse ihrer Analyse haben die Wissenschaftler jetzt in der Fachzeitschrift Psychiatrische Praxis veröffentlicht. In fast einem Drittel der 251 untersuchten Zeitungsartikel waren sie auf Formulierungen gestoßen, die sie als direkt stigmatisierend werteten: "verrückter Pilot", "Wahnsinn" oder "schwer gestört" zum Beispiel.

"Besorgniserregend finden wir aber auch die riskante Berichterstattung", sagt Dreßing. Darunter verstehen die Forscher die kausale Verknüpfung zwischen psychischer Krankheit und kriminellem Verhalten, wenn diese nicht in einen erklärenden Kontext gestellt werde. Die große Mehrzahl der Artikel, fast zwei Drittel, fokussierten auf eine psychische Erkrankung als Ursache des Unglücks. 

"Natürlich sucht man nach solch einem Ereignis nach Erklärungen. Die Medien hätten aber nicht spekulieren, sondern auf die Ergebnisse der Ermittlung warten sollen", meint der Psychiater. Zumindest aber hätten sie die Vermutungen besser einordnen sollen, sagt Dreßing, etwa so: "Es ist bekannt, dass der Pilot unter Depressionen litt. Depressive Menschen werden jedoch normalerweise nicht gewalttätig."

Wie haben sich das Unglück und die Berichte darüber aber tatsächlich auf die Einstellung gegenüber Menschen mit psychischen Krankheiten ausgewirkt? Das untersuchten gleich zwei Forscherteams, eines vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und eines um den Stigmaforscher Georg Schomerus von der Universität Greifswald.

Sie kommen zu demselben Ergebnis: Die Haltung der Bevölkerung gegenüber psychisch Kranken habe sich kaum verändert. "Das ist überraschend angesichts der massiven Berichterstattung", sagt Olaf von dem Knesebeck von der Uni-Klinik Eppendorf. "Eine Erklärung könnte sein, dass die Öffentlichkeit durchaus zwischen einem Einzelereignis und der Mehrheit psychisch erkrankter Menschen differenzieren kann. Das wäre eine schöne Nachricht."

Hinter dem Ergebnis könnte aber auch eine ziemlich ernüchternde Erkenntnis stehen. "Stigmata sind relativ stabil", sagt von dem Knesebeck. Das mussten er und seine Kollegen jüngst in einem ganz anderen Zusammenhang feststellen. Sie werteten aus, welchen Effekt eine Kampagne des Hamburger Projekts "psychenet" hatte. Mit Kinospots, Plakaten und einer Internetseite hatte es über psychische Krankheiten aufklären sowie auf Hilfsangebote aufmerksam machen wollen. Das Resultat, gerade veröffentlicht im Fachmagazin Psychiatry Research: Die Hamburger rücken kaum von ihren Einstellungen ab – und zwar sowohl im Vergleich zu der Zeit vor der Kampagne als auch verglichen mit Befragten in München, wo es die Aktion von "psychenet" nicht gegeben hatte.

"Wir beobachten zwar insgesamt, dass das Wissen über psychische Krankheiten zunimmt, doch die Haltung gegenüber den Betroffenen ändert sich nur wenig", sagt von dem Knesebeck. "Nicht zum Positiven, aber eben auch nicht zum Negativen." Ein schwacher Trost.

Quelle: zeit.de

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Autor: Giovanni Mària, International Traffic Manager

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1 Kommentar


Freddy
am 26.03.16

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