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Psychisch erkrankte Menschen brauchen Liebe!

Veröffentlicht am 09.11.2018 • Von Louise Bollecker

Carenity-Mitglied @Anna59‍ hat sich entschlossen uns die Gesichte ihrer Tochter zu erzählen, die unter schweren psyschischen Störungen litt. Mit viel Liebe und Entschlossenheit hat sie es geschafft, ihrer Tochter aus der schweren Phase herauszuhelfen. Obwohl sie selbst unter mehreren chronischen Erkrankungen leidet, ist sie eine sehr optimistische Person und ein hilfsbereites Mitglied auf Carenity.

Psychisch erkrankte Menschen brauchen Liebe!

Hallo Anna59, könnten Sie sich kurz vorstellen (Alter, Beruf, Herkunft, Dinge die Sie gerne in der Freizeit tun ..)?

Mein Name ist Anastasia, ich komme aus Griechenland (wenn man das so sagen kann, bin nämlich schon seit 1964 in Deutschland). Ich bin 59 Jahre alt und arbeite bei der Dekra. Ich habe früher sehr gerne lange Spaziergänge gemacht, mal einen Kaffee trinken, ins Kino oder auch wenn ich keinen Alkohol trinke mal mit meinen Freunden abends rauss... aber das kann ich leider nicht mehr. Wie schon gesagt ich bin Griechin, man sagt, wir sind ein gastfreundliches Volk. Ich habe mindestens 2 Mal die Woche Freunde bei mir, für die ich natürlich auch koche.

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Ihre Tochter leidet unter Schizophrenie. Können Sie uns davon erzählen?

Ich habe eine Tochter, sie ist jetzt 22 Jahre jung. Als die Krankheit sich bei ihr bemerkbar gemacht hat, habe ich es leider nicht gemerkt, weil sie von klein an ein sehr ruhiges Kind war. Sie fing an Facebook zu deaktivieren, änderte ihre Telefonnummer und zog sich von ihren Freunden zurück.

Damals habe ich als Kellnerin gearbeitet und Gott sei Dank war mein Chef ein sehr guter Freund von mir, fast wie ein Bruder, so konnte ich sie nämlich jeden Tag mit auf die Arbeit nehmen (sie blieb dann oben in der Wohnung von meinem Chef, so hatte ich sie in meiner Nähe). Irgendwann kam dann der Knall, von einer Sekunde zur anderen fing sie an zu schreien und zu weinen, wir konnten sie gar nicht beruhigen. Es war einfach nur schlimm!! Ich brachte sie ins Lvr Klinikum, wo sie in die Geschlossene kam, 3 Monate lang. Ich sag euch, die Hölle wäre ein Paradies gewesen für mich. Am ersten Tag ging ich nach Hause, machte die Tür zu und fing an zu schreien und zu weinen. Das habe ich auch jeden Tag gemacht, so habe ich irgendwie Kraft gewonnen.

Ich war jeden Tag bei ihr, aber sie war in ihrer Welt. Ich habe nur gedacht, Gott, wenn ich irgendwann nicht mehr da bin, was wird aus dem Kind. Die Ärzte haben versucht sie abzukapseln, ich sollte nicht jeden Tag kommen, aber das habe ich mir nicht gefallen lassen, ich war jeden Tag bei meinem Kind.

Irgendwann wurde sie dann entlassen und konnte nach Haue, aber war immer noch nicht ganz da. Danach haben wir uns entschlossen, dass sie in die Tagesklinik kommt. 5 Wochen und kein Unterschied. Irgendwann hat sie die morgendliche Tablette vergessen und dachte es wäre nicht schlimm, wenn sie sie mit der für mittags zusammen nimmt. Sie kam nach Hause und starrte nur die Decke an, war am Zittern wie ein Presslufthammer, 48 Stunden lang - und ab wieder in die Klinik, für 4 Wochen.

Dann hat man uns auf das betreute Wohnen für psychisch Kranke aufmerksam gemacht und schweren Herzens stimmten wir zu. Gott sei Dank hat ihr Arzt mit uns dort über das Clozapin gesprochen. Nach 18 Wochen Blutabnahme, um zu sehen, ob sie das Medikament verträgt, haben wir dann das Zimmer gekündigt.

Ich muss dazu sagen, dass meine Tochter die "Gesündeste" da war. Dann ging es los, vom Oberarzt bis zum Betreuer, alle wollten uns überzeugen, dass ich den größten Fehler meines Lebens mache.  Aber ich habe an die Liebe geglaubt die mein Kind da nicht bekommen hat. 

Wie geht es Ihrer Tochter heute?

De Stimmen, die sie gehört hat, hörten auf und sie konnte wieder lachen, es ging ihr mit jedem Tag besser. Mittlerweile ist sie 2 Jahre symptomfrei und lässt das Medikament ausschleichen. Es war ein langer Weg und sie hat viel aufzuholen, aber sie packt das.

Wie gehen Sie mit der Erkrankung Ihrer Tochter um?

Ich weiß nicht, wo ich soviel Kraft hergenommen habe. Ich habe noch nie so oft gebetet, wir sind sehr gläubig. Meine Tochter hat immer gesagt: Mama, Gott prüft mich und ich werde diese Prüfung bestehen. Sie hat sie bestanden und ich bin Gott sooo dankbar.

Ich bin ein Mensch, der immer nur nach vorne schaut nie zurück, und so konnte ich das auch alles aushalten. Ich habe auf mein Mutterherz gehört, nicht auf die Ärzte die gemeint haben, Abstand von mir bedeutet Selbstständigkeit. Es gibt nichts Größeres als die Mutterliebe und das brauchen psychisch kranke Menschen, Liebe!!!!!

Was hat ihrer Meinung nach geholfen, damit ihre Tochter die schwere Phase übersteht?

Meiner Tochter hat tausend prozentig geholfen, dass ich jeden Tag bei ihr war. Sie hat gewusst, dass sie sich auf mich verlassen kann und dass jemand den sie liebt, immer für sie da sein wird.

Denn wer Liebe gibt, kriegt sie bei solchen Menschen doppelt zurück.

Also die magischen Worte sind Liebe und Geduld und nicht alles ernst nehmen, wenn eure Lieben euch beleidigen oder frech werden, das sind nicht sie, das ist die Krankheit. 

Welchen Ratschlag würden Sie anderen Personen geben, die sich um Angehörige mit psychischen Erkrankungen kümmern?

Ich würde ihnen sagen, dass sie ihre Lieben nicht einfach ins Krankenhaus abschieben sollen. Sie brauchen euch und etwas auf das sie sich freuen können, euren Besuch. Die meisten haben einmal im Monat für eine halbe Stunde Besuch bekommen, traurig.

Ihr braucht Berge von Geduld und Liebe. Habt keine Angst zu weinen, es tut gut und gibt Kraft. Es ist ungeheuer schwer, ich hab mich manchmal gefragt ob es wohl für mich oder für sie schwerer ist. Das Leben ist kein Wunschkonzert, aber wenn ihr durchhaltet werdet ihr sehen, wie sehr es sich lohnt . 

Sie selbst leiden unter mehreren chronischen Erkrankungen, finden aber stets positive Worte. Wie schaffen Sie es, sich nicht unterkriegen zu lassen?

Tja nun zu mir, ich hatte vor 10 Jahren eine Brustkrebs-OP, danach kam die Schlafapnoe, dann die Krankheit meiner Tochter, die Polyneuropathie und Diabetes Typ 2 -  und die neueste Diagnose: Arthrose in den Knien.

Ich bin ein Mensch, der das Glas halb voll sieht und weiß, dass in jedem Schlechten auch was Gutes steckt. Das Leben hat mir gezeigt, dass jeder Tag in unserem Leben eine Überraschung verbergen kann. Deshalb, immer wenn ich verzweifelt bin, gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass der nächste Tag eine Lösung bringt.

Ich bin ziemlich schmerzunempfindlich und komme daher auch einigermaßen gut mit meinen Schmerzen zurecht. Mein Diabetes habe ich im Griff mit den Medikamenten und der wöchentlichen Spritze, daher bin ich dankbar, dass ich jeden Morgen aufwachen darf und jeden Tag mit meiner Familie verbringen darf.

Ich hoffe nur, dass ich solange lebe, dass ich meine Tochter noch verheiratet sehen kann und glücklich. Ich glaube an das Gute, aber wehe jemand legt sich mit meiner Familie an.

Ich liebe einfach das Leben und bin dankbar, dass ich trotz meiner Krankheiten und den Schmerzen zur Arbeit gehen kann, obwohl es nicht immer leicht ist.

Liegt Ihnen sonst noch etwas auf dem Herzen, was Sie gerne loswerden möchten?

Ich sage ich immer: Zähne zusammenbeißen und durch, irgendwie geht es immer - und nicht vergessen: Jeden Tag geht die Sonne auf!

Vielen Dank liebe Anastasia für diese eherlichen und intimen Einblicke. Wir sind uns sicher, dass Deine Geschichte anderen Personen, die sich in einer ähnlichen Situation befinden, viel Mut machen wird.

Hat Sie dich Geschichte von @Anna59berührt? Haben Sie sich schon in einer ähnlichen Sitation befunden? Zögern Sie nicht, hier einen Kommentar zu hinterlassen.

avatar Louise Bollecker

Autor: Louise Bollecker, Community Manager Frankreich

Louise ist Community Managerin von Carenity in Frankreich und Chefredakteurin des Gesundheitsmagazins. Sie bietet allen Mitgliedern Artikel, Videos und Erfahrungsberichte. Ihr Ziel ist es, die Stimme der Patienten zu... >> Mehr erfahren

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