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Lebenserwartung in Industrienationen sinkt

Veröffentlicht am 17.01.2018 • Von Giovanni Mària

Lebenserwartung in Industrienationen sinkt

Lebenserwartung in Industrienationen sinkt

 

Durchschnittlich steigt die Lebenserwartung in der Welt seit Jahrzehnten.
Forscher sehen in den Industrienationen allerdings Anzeichen dafür, dass sich der Trend umkehrt.
Verbraucherschützer werfen Versicherungsanbietern seit Langem vor, mit überhöhten Lebenserwartungen zu kalkulieren.

"Ihnen bleiben 29 Jahre, 8 Monate und 3 Tage zu leben." Im Film "Das brandneue Testament" des belgischen Regisseurs Jaco Van Dormael erfahren die Menschen, wie viel Lebenszeit ihnen bleibt. Das verrät ihnen Éa, die zehnjährige Tochter Gottes, die mit ihren Eltern in einer Hochhaussiedlung lebt und gegen den allmächtigen Vater rebelliert. Daraufhin verwirklichen die Menschen ihre Träume und verlieren ihre Angst.

In Wirklichkeit ist das Lebensende jedes Einzelnen unbekannt. Die Lebenserwartung aber ist seit Jahrzehnten in den großen Industrieländern und im Durchschnitt der Weltbevölkerung gestiegen: Weniger Kriegstote, bessere Medizin, Hygiene und Lebensmittel zählen zu den wichtigsten Gründen. Doch jetzt gibt es starke Anzeichen dafür, dass der Trend sich in den Industrienationen dreht. Mögliche Gründe sind ungesunde Lebensgewohnheiten, Fettleibigkeit und damit verbundene Krankheiten.

Lebensversicherer und die Konzerne, die Mitarbeitern Betriebsrenten zugesagt haben, werden dadurch finanziell entlastet. Aber gleichzeitig würde die Trendumkehr ein wichtiges Verkaufsversprechen der Lebensversicherer weniger glaubwürdig machen: Sie argumentieren, dass die Menschen bei ihnen sparen würden, weil die Versicherer lebenslang Privatrenten auszahlten und deshalb deren Angebote bei steigender Lebensdauer anderen Sparformen überlegen seien. Sparkonten oder Aktiendepots könnten hingegen irgendwann leer geräumt sein.

Trendwende hätte drastische Auswirkungen
Doch die Lebenserwartung von US-Amerikanern verringert sich bereits seit einigen Jahren - leicht, aber messbar. In Großbritannien ist die Lebensdauer von 65-jährigen Männern gerade um ein halbes Jahr gesunken, haben Versicherungsmathematiker berechnet. Die Londoner Unternehmensberatung LCP kalkuliert, dass dadurch die Verpflichtungen britischer Pensionseinrichtungen und Unternehmen von insgesamt zwei Billionen Pfund (umgerechnet 2,2 Billionen Euro) um satte 60 Milliarden Pfund sinken.

Auch in Deutschland gibt es erste Anzeichen für eine mögliche Trendwende. Seit 175 Jahren steige die Lebenserwartung pro Jahrzehnt um zweieinhalb Jahre, sagt Roland Weber, Vorstandsmitglied der Debeka und Chef der Deutschen Aktuarvereinigung, in der sich Versicherungsmathematiker zusammengeschlossen haben. "Dieser Trend scheint sich etwas abzuschwächen." Betrachtet man nur 2016, fällt die Restlebenserwartung von 65-Jährigen um ein halbes Jahr geringer aus als in den Vorjahren, sagt er. Diese Veränderung habe 2015 begonnen, sagt Weber. Noch seien das aber Werte im normalen Schwankungsbereich.

Eine Trendwende bei der Lebenserwartung hätte drastische Auswirkungen. Lebens- und Rentenversicherer berechnen für die Tarifierung, wie lange Versicherte voraussichtlich Privatrenten erhalten. Dazu nutzen sie sogenannte Sterbetafeln.

Stimmen die Berechnungen nicht, kommt es bei langlaufenden Versicherungsverträgen zu Verwerfungen - entweder hat der Versicherer Probleme, weil er mehr als erwartet auszahlen muss, oder der Kunde hat viel zu viel für die Privatrente eingezahlt. Verbraucherschützer werfen den Anbietern seit Langem vor, mit überhöhten Lebenserwartungen zu kalkulieren und so übermäßig hohe Sicherheitspolster zu ihren Gunsten aufzubauen.


Keine Auswirkungen für laufende Verträge

Experte Richard Herrmann sieht das anders; "Wenn die Versicherten länger leben, muss der Versicherer auch länger Rente zahlen", sagt der Chef der Beratungsfirma Heubeck. Sie erstellt die Heubeck-Richttafeln, mit denen Unternehmen die Lebenserwartung ihrer Belegschaften und damit die notwendigen Rückstellungen für Betriebsrenten kalkulieren können.

Herrmann glaubt nicht an eine nahende Trendwende. "Ein Nachlassen des Trends oder eine Trendumkehr, wie sie aus Großbritannien berichtet wird, haben wir noch nicht feststellen können", sagt er. Seine Richttafeln basieren auf Statistiken der gesetzlichen Rentenversicherung. "Und da schreitet die Verlängerung der Lebenserwartung weiter voran." Auch der Versichererverband GDV erwartet weiter steigende Lebenszeiten und baut auf ihnen ganze Werbekampagnen auf.

Eine sinkende Lebenserwartung könnte bei Neuverträgen zu niedrigen Prämien führen. "Ob es in der Rentenversicherung tatsächlich etwas günstiger würde, kann man aber erst in mehreren Jahren sehen", sagt Oberaktuar Weber. Bei laufenden Verträgen werden die Preise nicht sinken. "Für die meisten bestehenden Verträge ergeben sich zunächst keine Auswirkungen."

 

sueddeutsche.de

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Autor: Giovanni Mària, International Traffic Manager

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