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Warum das Vorbild nicht zu vorbildlich sein darf

Veröffentlicht am 09.03.2017 • Von Giovanni Mària

Warum das Vorbild nicht zu vorbildlich sein darf

Warum das Vorbild nicht zu vorbildlich sein darf

 

Erscheinen Ärzte, Fitnesstrainer oder Profisportler allzu tadellos, rufen sie heftige Abwehr hervor. Für welche Eigenschaften dies besonders gilt, haben Forscher nun erkundet.

Es herrscht Bedarf an Vorbildern. Wer in der Öffentlichkeit steht, an den werden große Erwartungen herangetragen. Fußballer sollen sich ihrer Vorbildfunktion stets bewusst sein, heißt es dann unter besonderem Verweis auf die fragile Jugend, die ansonsten ohne Orientierung dem Verderben entgegentaumele. Politiker sollen sich sowieso vorbildlich verhalten, und im Büro ist Gesetz: Wenn der Chef von seinen Angestellten Überstunden einfordert, dann darf er bitte schön nicht am frühen Nachmittag auf den Golfplatz verschwinden. Und ein rauchender, übergewichtiger Arzt gilt rasch als Heuchler. Die Maßstäbe an Vorbilder sind hoch - und zugleich enorm widersprüchlich. Wer sich nämlich tadellos verhält, muss ebenfalls mit Kritik rechnen. So ein Streber, führt sich auf wie ein Heiliger!

Vorbilder dienen als Referenzgröße, als Standard, an dem der Normalbürger sein Handeln misst. Jedoch bereitet es in keinem Bereich des Lebens Freude, sich mit weit überlegenen Menschen zu vergleichen: Werden einem zu deutlich die Grenzen aufgezeigt, kostet es Mühe, sich selbst trotzdem wertzuschätzen. Die schärfsten Abwehrreflexe, so die Psychologin Lauren Howe von der Stanford University, wecke aber der Eindruck moralischer Unterlegenheit. Als Laie neben einem Profimusiker zu dilettieren, kratzt das Selbstbild nur geringfügig an. Als moralischer Versager und schlechter Mensch dazustehen, weckt hingegen starke Minderwertigkeitsgefühle, die um beinahe jeden Preis vermieden werden.

Die Psychologen Howe und Benoît Monin demonstrieren das in einer Studie im Journal of Personality and Social Psychology: Wenn Mediziner sich selbst als Fitnessfreaks darstellen, verzichten insbesondere übergewichtige Patienten mit hoher Wahrscheinlichkeit auf einen Termin in ihrer Praxis - aus Angst gering geschätzt, als faul und schwach stigmatisiert zu werden. Gesundheit, so argumentiert Howe, sei heute moralisch aufgeladen. Körperliche Fitness gilt als Verantwortung des Individuums, was im Umkehrschluss bedeutet, dass Krankheit oder Übergewicht als persönliches Versagen empfunden werden und Schuldgefühle wecken. Ein Mediziner, der dann auch noch von seinem Fitnessprogramm schwadroniert, potenziert diese Gefühle.

Absurd ist es schon, denn zugleich erwarten Patienten von Ärzten schließlich, dass sich diese in besonderem Maße um ihre eigene Gesundheit kümmern. Auch Ärzte glauben, dass ihre Vorbildfunktion dies verlange - und dann fördert entsprechendes Wohlverhalten nur Verweigerung und Abwehr bei Patienten.

Dabei reicht es schon, wenn der Vorwurf nur im Denken des Unterlegenen existiert. Aus der Forschung ist bekannt, dass Vegetarier deshalb oft so heftige Ablehnung auslösen, weil Fleischesser sich in ihrer Gegenwart automatisch unter ethischem Rechtfertigungsdruck wähnen. Das Gleiche haben Forscher in Versuchen beobachtet, in denen Probanden als Einzige in einer Gruppe moralisch richtig handeln: Statt Bewunderung schlägt den heiligen Abweichlern Hass entgegen, weil sie den anderen ihr Fehlverhalten vor Augen führen; und weil es leichter ist, andere zu schmähen, als eigenes Versagen einzugestehen. Gnade also denen, die ein Vorbild sein sollen.

http://www.sueddeutsche.de/wissen/psychologie-warum-das-vorbild-nicht-zu-vorbildlich-sein-darf-1.3402683

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Autor: Giovanni Mària, International Traffic Manager

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6 Kommentare


Andrea
am 09.03.17

Warum das Vorbild nicht zu vorbildlich sein darf

Erscheinen Ärzte, Fitnesstrainer oder Profisportler allzu tadellos, rufen sie heftige Abwehr hervor. Für welche Eigenschaften dies besonders gilt, haben Forscher nun erkundet.

Es herrscht Bedarf an Vorbildern. Wer in der Öffentlichkeit steht, an den werden große Erwartungen herangetragen. Fußballer sollen sich ihrer Vorbildfunktion stets bewusst sein, heißt es dann unter besonderem Verweis auf die fragile Jugend, die ansonsten ohne Orientierung dem Verderben entgegentaumele. Politiker sollen sich sowieso vorbildlich verhalten, und im Büro ist Gesetz: Wenn der Chef von seinen Angestellten Überstunden einfordert, dann darf er bitte schön nicht am frühen Nachmittag auf den Golfplatz verschwinden. Und ein rauchender, übergewichtiger Arzt gilt rasch als Heuchler. Die Maßstäbe an Vorbilder sind hoch - und zugleich enorm widersprüchlich. Wer sich nämlich tadellos verhält, muss ebenfalls mit Kritik rechnen. So ein Streber, führt sich auf wie ein Heiliger!

Vorbilder dienen als Referenzgröße, als Standard, an dem der Normalbürger sein Handeln misst. Jedoch bereitet es in keinem Bereich des Lebens Freude, sich mit weit überlegenen Menschen zu vergleichen: Werden einem zu deutlich die Grenzen aufgezeigt, kostet es Mühe, sich selbst trotzdem wertzuschätzen. Die schärfsten Abwehrreflexe, so die Psychologin Lauren Howe von der Stanford University, wecke aber der Eindruck moralischer Unterlegenheit. Als Laie neben einem Profimusiker zu dilettieren, kratzt das Selbstbild nur geringfügig an. Als moralischer Versager und schlechter Mensch dazustehen, weckt hingegen starke Minderwertigkeitsgefühle, die um beinahe jeden Preis vermieden werden.

Die Psychologen Howe und Benoît Monin demonstrieren das in einer Studie im Journal of Personality and Social Psychology: Wenn Mediziner sich selbst als Fitnessfreaks darstellen, verzichten insbesondere übergewichtige Patienten mit hoher Wahrscheinlichkeit auf einen Termin in ihrer Praxis - aus Angst gering geschätzt, als faul und schwach stigmatisiert zu werden. Gesundheit, so argumentiert Howe, sei heute moralisch aufgeladen. Körperliche Fitness gilt als Verantwortung des Individuums, was im Umkehrschluss bedeutet, dass Krankheit oder Übergewicht als persönliches Versagen empfunden werden und Schuldgefühle wecken. Ein Mediziner, der dann auch noch von seinem Fitnessprogramm schwadroniert, potenziert diese Gefühle.

Absurd ist es schon, denn zugleich erwarten Patienten von Ärzten schließlich, dass sich diese in besonderem Maße um ihre eigene Gesundheit kümmern. Auch Ärzte glauben, dass ihre Vorbildfunktion dies verlange - und dann fördert entsprechendes Wohlverhalten nur Verweigerung und Abwehr bei Patienten.

Dabei reicht es schon, wenn der Vorwurf nur im Denken des Unterlegenen existiert. Aus der Forschung ist bekannt, dass Vegetarier deshalb oft so heftige Ablehnung auslösen, weil Fleischesser sich in ihrer Gegenwart automatisch unter ethischem Rechtfertigungsdruck wähnen. Das Gleiche haben Forscher in Versuchen beobachtet, in denen Probanden als Einzige in einer Gruppe moralisch richtig handeln: Statt Bewunderung schlägt den heiligen Abweichlern Hass entgegen, weil sie den anderen ihr Fehlverhalten vor Augen führen; und weil es leichter ist, andere zu schmähen, als eigenes Versagen einzugestehen. Gnade also denen, die ein Vorbild sein sollen.


http://www.sueddeutsche.de/wissen/psychologie-warum-das-vorbild-nicht-zu-vorbildlich-sein-darf-1.3402683

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Abgemeldeter Nutzer
am 10.03.17

Ja, es ist irgendwie komisch, zuerst habe ich zu meinem Therapeuten aufgeschaut, mit der Zeit,

sah ich immer mehr Fehler, die er machte, ich wuchs und wuchs, auf einmal war ich so gross wie 

er. Sein ganzes Haus war vergoldet, jede Figur jede Vase, sogar das Besteck. Ich fragte mich,

kann ein Mensch, der so materiell eingestellt ist, ein gutes, spirituelles  Vorbild sein?  

Er nahm das Geld, von uns und kaufte  damit wieder etwas teures, das er in

Frankreich einkaufte, und ich musste das Geld zusammen kratzen.

Da bleibt die Bewunderung auf der Strecke und Heilung geschieht nur,

wenn man den Therapeuten als Vorbild sieht, dem man nach eifern kann. Ein grosser Fehler

machte er, dass er Haus und Praxis am gleichen Ort hatte. 

mariüs


Manuela56 • Botschafter-Mitglied
am 10.03.17

Das stimmt schon, irgendwie. Als ich vor 29 Jahren bei der Lebenshilfe als Gruppenleiterin angefangen  habe zu  arbeiten, galten wir Gruppenleiter als etwas "besonderes". Wir sollten eine "Vorbildfunktion" haben. Dagegen habe ich mich oft gewehrt, ich wollte "menschlich" sein. Auch mal "Schwäche" zeigen. Ich habe oft mit den Sozialarbeitern diskutiert, wenn es mir mal nicht gut geht, ist es schon "Schwäche" , das den behinderten Mitarbeitern zu sagen? Wieso bin ich dann kein Vorbild mehr? Die sagen doch auch, ich habe Kopfweh oder Bauchweh. Es hat sich alles  gelockert, mitttlerweile dürfen die Behinderten uns auch mit "du" und dem Vornamen anreden. Durfte man früher nicht, wegen der Vorbildfunktion. Den Chef siezt man. Einmal hat mich eine Sozialarbeiterin auf meine Raucherei angesprochen, ich müsste doch Vorbild sein. Ich sagte, ich rauche, da stehe ich dazu, dann bin ich halt ein negatives Vorbild. Die muss es ja auch geben.  Die Menschen mögen mich wegen meiner, manchmal etwas flapsigen Art, dass ich nicht überheblich mit ihnen umgehe, dass ich auch Fehler habe und zugebe. Dazu gehört auch das Rauchen. (Leider!!!!!) 


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Abgemeldeter Nutzer
am 12.03.17

Schwäche zugeben finde ich gut.

Das verbessert häufig das Verhältnis.

Manche Gruppen nutzen es aber auch aus...

Gruß

Verena


Manuela56 • Botschafter-Mitglied
am 12.03.17

Es ist halt so wie es ist. Ich habe eine Schwäche für Gummibärchen. Ich rauche. Soll ich das leugnen? Ich habe Übergewicht, das kommt bestimmt nicht davon, dass ich nichts esse.   Wenn man seine Fehler kennt und erkennt, kann man daran arbeiten. Ich habe die Erfahrung gemacht, wenn man einen Menschen so akzeptiert, wie er ist, kann man mit ihm arbeiten. Das hat mir viel geholfen bei meiner Arbeit mit Behinderten.  Nicht immer schimpfen und kritisieren bei Fehlverhalten. Auch mal loben und ein "Zuckerchen". 

Ich finde es gut, was hier in diesem Forum leistet, wieviel Mühe ihr euch gebt, alle Fragen zu beantworten, Hinweise und Tipps zu geben. 

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