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Mangelware Mann

Veröffentlicht am 12.04.2016 • Von Giovanni Mària

Mangelware Mann

Besuch beim Psychologen: Mangelware Mann

Männer suchen zunehmend Hilfe beim Psychologen - am liebsten bei einem Mann. Das könnte bald schwieriger werden: Der Anteil der Frauen unter den Therapeuten steigt drastisch.

Den Psychotherapeuten fehlt es an männlichem Nachwuchs. Laut Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) sind heute bereits 71 Prozent der Mitglieder Frauen, und der Anteil wächst beständig: Bei den Mitgliedern unter 35 sind es sogar 91 Prozent. Nicht erfasst sind damit zwar die ärztlichen Psychotherapeuten, aber auch hier sind Frauen in den meisten Sparten überrepräsentiert, und ihr Anteil wird immer größer.

Wolfram Dorrmann ist einer der rund 12.000 männlichen Psychotherapeuten in Deutschland, die der BPtK (Stand 2014) angehören. Während früher noch überwiegend Frauen zu ihm in die Praxis kamen, sind es heute zu 70 bis 80 Prozent Männer, sagt er. Das liegt zum einen daran, dass sich mehr Männer in Behandlung begeben.

Als der Nationaltorhüter Robert Enke aufgrund seiner DepressionSuizid begangen hatte, sei bei vielen Männern das Tabu gefallen, therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen, erklärt Dorrmann. Und: "Manche Themen, wie zum Beispiel den Bereich Sexualität und Partnerschaft, besprechen Männer eben lieber mit einem anderen Mann", sagt Dorrmann. Ganz allgemein gilt: Wer als gesetzlich Versicherter eine Psychotherapie machen möchte, wartet im Schnitt drei Monate auf einen Platz.

Selbsterfahrung unter Frauen?

Für die meisten Patienten müsste das zwar derzeit noch möglich sein: Denn nicht nur unter den Therapeuten sind die Männer in der Minderheit, mehr als 70 Prozent der Ratsuchenden sind derzeit noch Frauen. Aus Daten des Zentralinstituts für die Kassenärztliche Versorgung in Deutschland geht aber hervor, dass die Zahl männlicher Patienten zwischen 2009 und 2014 stärker angestiegen ist als die Zahl der Patientinnen.

Damit hat sich auch das Verhältnis zwischen männlichen und weiblichen Patienten verschoben: Waren 2009 noch etwa 26 Prozent der Patienten männlich und 74 Prozent weiblich, lag das Verhältnis 2014 schon bei 28 zu 72 Prozent. Die Zahlen beziehen sich auf Patienten über 20, die bei psychologischen Psychotherapeuten oder Fachärzten für Psychiatrie und Psychotherapie in Behandlung waren. Insgesamt waren das 2014 etwa 349.000 Männer und 909.000 Frauen.

Besonders stark sei der Männermangel in der Ausbildung spürbar, sagt Dorrmann. Er ist selbst Ausbilder für Nachwuchstherapeuten am Institut für Verhaltenstherapie, Verhaltensmedizin und Sexuologie (IVS) in Fürth. Andernorts kämen bereits Frauenjahrgänge zu Stande. Das bestätigt etwa die Tübinger Akademie für Verhaltenstherapie.

Das sei vor allem in den Selbsterfahrungsgruppen ein Problem. In diesen Seminaren sollen die angehenden Therapeuten unter anderem lernen, wie sie auf andere Menschen reagieren. "Wenn die Frauen dabei unter sich bleiben, können sie bestimmte Erfahrungen nicht machen", meint der Psychologe.

Technik soll Männer anlocken

Die emeritierte Psychologieprofessorin und ausgebildete Therapeutin Eva Jaeggi sieht das weniger kritisch. Sie hat sich mit der Feminisierung ihres Berufes in einer Publikation auseinandergesetzt. Zwar fühlten sich Männer bei einzelnen Störungsbildern möglicherweise bei einem Mann als Therapeuten besser aufgehoben. Es gebe aber auch Patienten, die gerade bei einer Frau Verständnis suchen - ähnlich wie bei einer Mutterfigur. "Ich finde es trotzdem wichtig, dass auch Männer diesen Beruf ausüben", sagt Jaeggi. "Wenn es fast nur noch Therapeutinnen gibt, besteht die Gefahr, dass Männer die Beschäftigung mit psychischen Problemen für unmännlich halten. Und dann seltener den Weg in die Praxen finden, auch wenn sie eigentlich Hilfe bräuchten."

Viele Männer werden nach dem Studium nicht Therapeut, sondern gehen in die Wirtschaft und in die Personalführung. "Weil man dort besser verdient", sagt Dorrmann. Sein Institut versucht, junge Männer gezielt für die Therapeutenausbildung zu begeistern. An speziellen boys days werden beispielsweise technische Apparate präsentiert: etwa ein Biofeedback-Gerät, das bei computergestützten psychologischen Trainings eingesetzt wird. Oder man besucht einen Sportpsychologen bei der Arbeit.

Damit die Zahl der Absolventen steigt, die eine Therapeutenausbildung an ihr Studium anschließen können, sollte man die Studiengänge Psychologie und Pädagogik stärker bei Männern bewerben, schlägt Dorrmann vor. Studienplätze sollten - anstatt über Noten, bei denen die männlichen oft nicht mit den weiblichen Abiturientinnen mithalten können - stärker über Auswahlgespräche vergeben werden.

Mütter suchen männliche Therapeuten für ihre Kinder

Peter Lehndorfer ist Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut und selbst besonders stark nachgefragt. "Weil vielen Kindern die Vaterfigur fehlt, an Schulen meist Lehrerinnen unterrichten und auch in Kitas vor allem Erzieherinnen tätig sind, glauben Mütter oft, ein männlicher Therapeut sei besser für ihr Kind", sagt Lehndorfer. Er selbst könne aber nicht bestätigen, dass diese Annahme richtig sei. Man wisse aus Studien, dass sich die Therapieerfolge von Männern und Frauen grundsätzlich nicht unterscheiden. Eine Analyse von österreichischen Wissenschaftlern etwa hat ergeben, dass zwar die Beziehungsqualität zwischen männlichen Patienten und männlichen Therapeuten geringfügig besser ist, als die zwischen männlichen Patienten und einem weiblichen Therapeuten. Wenn es um die erwünschte Wirkung der Therapie ging, zeigten sich aber keine solchen geschlechtsspezifischen Unterschiede.

Wichtig sei das Geschlecht aber bei der Wahl der Behandlungsmethode: "Egal wer behandelt, die Ansätze in der Psychotherapie müssten besser auf Frauen und Männer zugeschnitten sein." Denn Krankheitsbilder prägten sich oft unterschiedlich aus: "Bei einer Depressionen neigen Frauen stärker zur Niedergeschlagenheit", so Lehndorfer, "viele Männer sind hingegen eher gereizt und ertränken ihre Depression in Alkohol."

Zusammengefasst: Während die Zahl der Männer steigt, die psychologische Hilfe suchen, schrumpft die Zahl der männlichen Psychotherapeuten. Das könnte Männer von der Therapiesuche abhalten, befürchten Experten. Sie versuchen daher, mehr männliche Psychologie-Absolventen in die therapeutischen Berufe zu locken.

Quelle: spiegel.de

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Autor: Giovanni Mària, International Traffic Manager

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3 Kommentare


Andrea
am 12.04.16

Besuch beim Psychologen: Mangelware Mann

Männer suchen zunehmend Hilfe beim Psychologen - am liebsten bei einem Mann. Das könnte bald schwieriger werden: Der Anteil der Frauen unter den Therapeuten steigt drastisch.

Den Psychotherapeuten fehlt es an männlichem Nachwuchs. Laut Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) sind heute bereits 71 Prozent der Mitglieder Frauen, und der Anteil wächst beständig: Bei den Mitgliedern unter 35 sind es sogar 91 Prozent. Nicht erfasst sind damit zwar die ärztlichen Psychotherapeuten, aber auch hier sind Frauen in den meisten Sparten überrepräsentiert, und ihr Anteil wird immer größer.

Wolfram Dorrmann ist einer der rund 12.000 männlichen Psychotherapeuten in Deutschland, die der BPtK (Stand 2014) angehören. Während früher noch überwiegend Frauen zu ihm in die Praxis kamen, sind es heute zu 70 bis 80 Prozent Männer, sagt er. Das liegt zum einen daran, dass sich mehr Männer in Behandlung begeben.

Als der Nationaltorhüter Robert Enke aufgrund seiner DepressionSuizid begangen hatte, sei bei vielen Männern das Tabu gefallen, therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen, erklärt Dorrmann. Und: "Manche Themen, wie zum Beispiel den Bereich Sexualität und Partnerschaft, besprechen Männer eben lieber mit einem anderen Mann", sagt Dorrmann. Ganz allgemein gilt: Wer als gesetzlich Versicherter eine Psychotherapie machen möchte, wartet im Schnitt drei Monate auf einen Platz.

Selbsterfahrung unter Frauen?

Für die meisten Patienten müsste das zwar derzeit noch möglich sein: Denn nicht nur unter den Therapeuten sind die Männer in der Minderheit, mehr als 70 Prozent der Ratsuchenden sind derzeit noch Frauen. Aus Daten des Zentralinstituts für die Kassenärztliche Versorgung in Deutschland geht aber hervor, dass die Zahl männlicher Patienten zwischen 2009 und 2014 stärker angestiegen ist als die Zahl der Patientinnen.

Damit hat sich auch das Verhältnis zwischen männlichen und weiblichen Patienten verschoben: Waren 2009 noch etwa 26 Prozent der Patienten männlich und 74 Prozent weiblich, lag das Verhältnis 2014 schon bei 28 zu 72 Prozent. Die Zahlen beziehen sich auf Patienten über 20, die bei psychologischen Psychotherapeuten oder Fachärzten für Psychiatrie und Psychotherapie in Behandlung waren. Insgesamt waren das 2014 etwa 349.000 Männer und 909.000 Frauen.

Besonders stark sei der Männermangel in der Ausbildung spürbar, sagt Dorrmann. Er ist selbst Ausbilder für Nachwuchstherapeuten am Institut für Verhaltenstherapie, Verhaltensmedizin und Sexuologie (IVS) in Fürth. Andernorts kämen bereits Frauenjahrgänge zu Stande. Das bestätigt etwa die Tübinger Akademie für Verhaltenstherapie.

Das sei vor allem in den Selbsterfahrungsgruppen ein Problem. In diesen Seminaren sollen die angehenden Therapeuten unter anderem lernen, wie sie auf andere Menschen reagieren. "Wenn die Frauen dabei unter sich bleiben, können sie bestimmte Erfahrungen nicht machen", meint der Psychologe.

Technik soll Männer anlocken

Die emeritierte Psychologieprofessorin und ausgebildete Therapeutin Eva Jaeggi sieht das weniger kritisch. Sie hat sich mit der Feminisierung ihres Berufes in einer Publikation auseinandergesetzt. Zwar fühlten sich Männer bei einzelnen Störungsbildern möglicherweise bei einem Mann als Therapeuten besser aufgehoben. Es gebe aber auch Patienten, die gerade bei einer Frau Verständnis suchen - ähnlich wie bei einer Mutterfigur. "Ich finde es trotzdem wichtig, dass auch Männer diesen Beruf ausüben", sagt Jaeggi. "Wenn es fast nur noch Therapeutinnen gibt, besteht die Gefahr, dass Männer die Beschäftigung mit psychischen Problemen für unmännlich halten. Und dann seltener den Weg in die Praxen finden, auch wenn sie eigentlich Hilfe bräuchten."

Viele Männer werden nach dem Studium nicht Therapeut, sondern gehen in die Wirtschaft und in die Personalführung. "Weil man dort besser verdient", sagt Dorrmann. Sein Institut versucht, junge Männer gezielt für die Therapeutenausbildung zu begeistern. An speziellen boys days werden beispielsweise technische Apparate präsentiert: etwa ein Biofeedback-Gerät, das bei computergestützten psychologischen Trainings eingesetzt wird. Oder man besucht einen Sportpsychologen bei der Arbeit.

Damit die Zahl der Absolventen steigt, die eine Therapeutenausbildung an ihr Studium anschließen können, sollte man die Studiengänge Psychologie und Pädagogik stärker bei Männern bewerben, schlägt Dorrmann vor. Studienplätze sollten - anstatt über Noten, bei denen die männlichen oft nicht mit den weiblichen Abiturientinnen mithalten können - stärker über Auswahlgespräche vergeben werden.

Mütter suchen männliche Therapeuten für ihre Kinder

Peter Lehndorfer ist Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut und selbst besonders stark nachgefragt. "Weil vielen Kindern die Vaterfigur fehlt, an Schulen meist Lehrerinnen unterrichten und auch in Kitas vor allem Erzieherinnen tätig sind, glauben Mütter oft, ein männlicher Therapeut sei besser für ihr Kind", sagt Lehndorfer. Er selbst könne aber nicht bestätigen, dass diese Annahme richtig sei. Man wisse aus Studien, dass sich die Therapieerfolge von Männern und Frauen grundsätzlich nicht unterscheiden. Eine Analyse von österreichischen Wissenschaftlern etwa hat ergeben, dass zwar die Beziehungsqualität zwischen männlichen Patienten und männlichen Therapeuten geringfügig besser ist, als die zwischen männlichen Patienten und einem weiblichen Therapeuten. Wenn es um die erwünschte Wirkung der Therapie ging, zeigten sich aber keine solchen geschlechtsspezifischen Unterschiede.

Wichtig sei das Geschlecht aber bei der Wahl der Behandlungsmethode: "Egal wer behandelt, die Ansätze in der Psychotherapie müssten besser auf Frauen und Männer zugeschnitten sein." Denn Krankheitsbilder prägten sich oft unterschiedlich aus: "Bei einer Depressionen neigen Frauen stärker zur Niedergeschlagenheit", so Lehndorfer, "viele Männer sind hingegen eher gereizt und ertränken ihre Depression in Alkohol."

Zusammengefasst: Während die Zahl der Männer steigt, die psychologische Hilfe suchen, schrumpft die Zahl der männlichen Psychotherapeuten. Das könnte Männer von der Therapiesuche abhalten, befürchten Experten. Sie versuchen daher, mehr männliche Psychologie-Absolventen in die therapeutischen Berufe zu locken.

Quelle: spiegel.de


Loreley
am 13.04.16

Mich würde mal interessieren, wieso Männer v. a. männliche Therapeuten suchen?

LG

Loreley


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Abgemeldeter Nutzer
am 15.04.16

So unter Männern kann man sicher freier reden...

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